LESEPROBE

DIE TOTEN IM PARK

Prolog

Nachdem sie die schmiedeeiserne Pforte aufgeschlossen hatte, steckte sie den Schlüssel zurück in die innere Seitenablage ihrer Umhängetasche. Ihre Hände zitterten. Sie war aufgeregt, wie immer, sobald sie sich durch den Park in das verabredete Versteck schlich. Das Tor öffnete sich geräuschlos. Obwohl sie nichts anderes erwartet hatte, war sie erleichtert. Dabei wusste sie, dass ein verrostetes Schloss in einem Gartentor der Familie Stoltenbach ebenso unwahrscheinlich war, wie angelaufenes Silber auf ihrem Esszimmertisch.

Der Park lag fast im Dunkeln. Kein Lüftchen regte sich. Die hohen Nadelbäume ragten wie Kirchturmspitzen in den Himmel und die Kronen der Laubbäume standen wie erstarrt. Energisch warf sie ihre Jacke über den Arm und drückte sich schrittweise und mit klopfendem Herzen an mannshohen Rhododendren vorbei.

Als die Rückseite der Villa und die hintere Terrasse in ihrem Blickfeld lagen, hielt sie inne, blieb reglos stehen und beobachtete durch ein hohes Fenster eine Weile amüsiert die Dame des Hauses, die auf einem Sofa lag und unter dem Licht einer Stehlampe in einer Zeitschrift blätterte. Der Hausherr und sein wesentlich jüngerer Parteifreund saßen nebenan im Herrenzimmer vor einem Schachtischchen und stierten mit unbeweglichen Gesichtern auf die Figuren. Sie wusste, dass die Schachfiguren ein beachtliches Alter besaßen. Man hatte ihr erzählt, dass sie aus Elfenbein gefertigt und somit sehr kostbar waren.

Hinter einem Fenster im Obergeschoss entdeckte sie den Mann, der sie ›meine Liebste‹ nannte, wenn sie zu ihm ins Bett kroch. Jetzt drehte er ihr den Rücken entgegen und telefonierte. Während sie die Bewohner des hell beleuchteten Hauses beobachtete, lauschte sie der klassischen Musik, die leise durch die deckenhohen, geöffneten Fenstertüren der Bibliothek drang.

Sie hatte zwar ihr Abitur mit Bravour bestanden, aber in ihrem Elternhaus hörte man Schlager, vielleicht Operette, nicht Beethoven, Bach und Mozart.

Die Besucherin zögerte einen Moment, ehe sie den Schatten einer Buchenhecke verließ, durch den hellen Lichtstrahl der Terrassenfenster über den gepflegten Rasen spurtete und erst innehielt, nachdem sie den Zierteich erreicht hatte. Dort ließ sie sich auf eine Bank fallen und wartete. Nach ihrem Gefühl waren die Temperaturen in diesem Jahr zu niedrig gewesen und es hatte oft geregnet. Doch heute Nacht war die Luft samtig weich und lauschig warm. Fast hatte es den Anschein, der Sommer hätte jetzt erst begonnen, um ihr eine Freude zu machen. Sie stellte die Tasche ab, rollte ihre Jacke zusammen, nutzte sie als Kopfkissen und legte sich hin. Obwohl sie sehr müde war, wollte sie auf gar keinen Fall einschlafen.

Als der Mann, mit dem sie verabredet war, nach einer Viertelstunde nicht erschienen war, beschloss sie, nicht länger abzuwarten. Sie rappelte sich auf, nahm ihre Jacke und die Tasche und lief geduckt über die weitläufige Rasenfläche, bis sie die Streuobstwiese hinter dem Gärtnerhaus erreichte. Hier verlangsamte sie ihren Schritt und marschierte, am Pavillon vorbei, geradewegs zum Schuppen, in dem der Gärtner sein Handwerkszeug aufbewahrte. Die schmale Eingangstür war nicht verschlossen, aber die Holzläden vorgeklappt. Ehe sie eintrat, kramte sie die Taschenlampe aus ihrer Umhängetasche und schaltete sie ein.

Sie ließ den Lichtschein suchend über die hölzernen Wände fahren und bemerkte erfreut, dass bereits eine breite Liegefläche aus zwei aneinandergeschobenen Gartenliegen und mehrere Decken auf sie wartete. Auf einem Tischchen, neben dem Liebesnest, standen eine Flasche Rotwein, zwei Weingläser und eine, mit Alufolie abgedeckte, großflächige, ovale Platte. Sie freute sich auf die Leckereien, die sie unter der Folie vermutete, denn sie war hungrig und hatte nicht zu Abend gegessen.

Hinter dem provisorischen Bett lag allerlei Sperrmüll. Sie sah einen Stuhl, dem ein Bein fehlte, eine hässliche Stehlampe, eine ebenso scheußliche Wanduhr aus den Siebzigern und eine Kiste aus Sperrholz, auf deren Vorderkante der Name eines bekannten Weingutes prangte. Die unansehnliche Ansammlung diverser ramponierter Dinge passte so ganz und gar nicht zu dem gepflegten, exklusiven Haushalt der Familie Stoltenbach. Höchstwahrscheinlich stammte das Sammelsurium aus einem der Personalzimmer im Untergeschoss.

Der Mann, der sie meine Liebste nannte, hatte ihr erzählt, dass die Küche ins Erdgeschoss verlegt wurde, um im Souterrain eine Wohnung für die Haushälterin auszubauen.

Sie streifte die Schuhe ab und legte die eingeschaltete Taschenlampe auf eine der Liegen, als ihre innere Stimme, die sie Gespenst Diana nannte, mit ihr sprach und ihr ein großes Unglück prophezeite, sollte sie nicht schleunigst den Park verlassen und nach Hause gehen. Diana hatte sich in den letzten Monaten oft bei ihr gemeldet. Es hatte sie angefleht, bedroht und verflucht. Wie stets, sobald das Gespenst mit ihr sprach, schimpfte sie sich hysterisch. Niemand konnte wissen, mit wem sie verabredet war und auch nicht, mit wem sie seit Monaten schlief.

Sie ließ sich auf die Liege fallen, zog die Beine an und blickte sich um. Im Lichtschein der Taschenlampe entdeckten ihre Augen plötzlich unterhalb des Gerümpels eine winzige menschliche, nackte Gestalt. Das puppenähnliche Wesen hatte die Größe eines Säuglings. Es war makellos, in einer nie zuvor gesehenen Schönheit, mit weit geöffneten blauen Augen und einem dunklen Haarflaum auf dem Kopf. Die dicklichen Beinchen waren leicht angehoben und streckten dem abendlichen Gast pummelige Ärmchen entgegen.

Die Besucherin stand auf, hockte sich vor den Winzling, berührte ihn, begriff und schrie laut auf, als sie die dunkel gekleidete Gestalt vor sich erblickte.

Kapitel I

Zehn Jahre später ...

Der Albtraum, aus dem sie stets mit tränenüberströmtem Gesicht und schweißgebadet aufwachte, weil ihre verstorbene Schwester Lena über dem Bett schwebte, quälte die Journalistin Julia König in unregelmäßigen Abständen seit fast sieben Jahren. Auch in der vergangenen Nacht war Lena durch Julias Schlaf gewandert.

Im Traum spielten sie auf einem weißen Sandstrand Volleyball. Lena trug einen weißen Bikini, der wundervoll auf ihrer gebräunten Haut aussah. Das Oberteil des Bikinis war blutverschmiert und aus Lenas rechter Brust floss Blut, aber das bekümmerte Lena nicht. Sie führte ihren Aufschlag aus und spielte hart und treffsicher Julia an. Doch Julia verfehlte den Ball, wie so oft. Spöttisch lachend winkte Lena ihr daraufhin zu, stieg sachte auf, um gleich darauf, wie ein großer weißer Ballon, in den blassblauen Wolken Kaliforniens einzutauchen.

Hatte Lenas Lachen sie aus dem Schlaf gerissen? Oder war es Stefan gewesen, der ihre Träume und Ängste kannte und sie in den Am nahm und tröstete.

Julia befreite sich sachte aus Stefans Armen, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und stand auf. Im Badezimmer ließ sie eine lange Zeit kaltes Wasser über ihren Körper prasseln, während das immer wiederkehrende Gedankenkarussell sich drehte. Ich bin schuld! Ich bin schuld am Tod meiner Schwester!

Wäre sie nach ihrer Ausbildung zur Polizistin mit Stefan in den Urlaub gefahren, statt ihre Schwester, die ein Auslandssemester in Kalifornien absolvierte, zu besuchen, dann hätte ihre Schwester für sie kein Abschiedsfest am Strand organisiert. Lena hätte nicht zu viel getrunken, sie hätte sich nicht mit einem Unbekannten, der wahrscheinlich ihr Mörder wurde, von der Gruppe entfernt, sie wäre an diesem Abend in ihrer kleinen Wohnung gewesen, hätte sich auf ihr Studium konzentriert, hätte ..., hätte ..., wäre ..., wenn. Kein Albtraum, ganz gleich, wie oft er sie heimsuchte, und keine Träne, egal, wie viele sie weinte, würden Lena zurückbringen.

Um Stefan nicht zu wecken, der wieder eingeschlafen war, schlich sie, vor Kälte zitternd, ins Schlafzimmer und wickelte sich in Lenas verschlissenen Bademantel, der neben ihrem Kleiderschrank hing. Sie wischte die Tränen ab, die noch immer unentwegt über ihre Wangen liefen und ging in ihr Arbeitszimmer. Dort schaltete sie das Licht ein, trat an die großzügige Bücherwand, die sich über Eck zog, und betrachtete nachdenklich die zahlreichen Porzellandosen, in verschiedenen Formen, Größen und Mustern. Ehe ihr Sammelspleen sich auf Butterdosen aus dem vorletzten und letzten Jahrhundert gerichtet hatte, waren es Parfümflakons gewesen.

Nachdem sie einige der Dosen in die Hand genommen und betrachtet hatte, schlenderte sie zur gegenüberliegenden Wand. Dort hingen vier, in Blautönen gehaltene Aquarelle, die mit dem Schriftzug L gezeichnet waren. Lena war begabt gewesen. Sie hatte wunderschöne, aussagekräfige Aquarelle gemalt. Julia musterte die Bilder lange, ehe sie zu ihrem Schreibtisch ging, den sie vor das große Fenster des Raumes geschoben hatte, und sich setzte. Sie schaltete den Rechner ein und rief ihr Manuskript auf.

Das Schreiben wirkte heilend auf ihre Seele und war eine besondere Art der Therapie, eine sehr wirkungsvolle und für Julia die einzig denkbare Möglichkeit, Lenas viel zu frühen Tod zu verarbeiten. Sie schrieb sich ihren Kummer von der Seele, fasste ihre Gedanken und Erinnerungen zusammen, arbeitete sich Wort für Wort, Seite für Seite vor und kam ihrer Schwester dabei sehr nahe.

Ehe sie sich dem Manuskript zuwandte, betrachtete sie die drei gerahmten Fotografien, die auf ihrer Schreibtischplatte standen. Eine steckte in einem weißen Holzrahmen, dessen Farbe vom häufigen Anfassen an den Breitseiten abgenutzt war und das bräunliche Holz durchschimmern ließ. Das Foto zeigte Lena mit offenen Haaren, in einem hellblauen Sommerkleid. An ihrem Handgelenk trug sie das goldene Armband, an dem eine gefasste Goldmünze aus den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts hing, die sie von ihrer Großmutter geschenkt bekommen hatte. Julia besaß das gleiche Schmuckstück. Sie hatte es seit Lenas Tod nie wieder angelegt.

Daneben stand ein Schnappschuss, den Julias Vater von ihr aufgenommen hatte. Er zeigte sie in Polizeiuniform. Damals war Julia davon ausgegangen, dass sie ihren Traumberuf der Kriminalistin bis zu ihrer Rente ausüben würde. Doch nach dem Mord an ihrer Schwester hatte sie schnell erkannt, dass sie nach diesem entsetzlichen Schicksalsschlag niemals die Arbeit einer Polizistin ausfüllen konnte. Deswegen hatte sie sich auf einer bekannten Hamburger Journalistenschule beworben und einen der heißbegehrten Plätze bekommen.

Seit einem Jahr arbeitete sie freiberuflich für mehrere Printmedien und war dankbar, dass sie einen Beruf gefunden hatte, der ihr zwar kein festes Einkommen bot, aber eine Arbeit, die sie liebte.

Die nebeneinanderstehenden Fotografien auf dem Schreibtisch zeigten deutlich, wie ähnlich sich die Schwestern sahen. Sie hatten das gleiche ovale, schmale Gesicht, den gleichen hellen Teint, eine hohe Stirn, ein spitzes Kinn, eine etwas zu lange Nase und glatte blonde Haare. Allerdings fehlte über Lenas Oberlippe das kleine herzförmige Muttermal, das Julias Gesicht einen besonderen Reiz gab.

Das dritte Foto zeigte Julias Vater, Kurt König, einen pensionierten Polizeibeamten, der viele Jahre als Kriminalbeamter gearbeitet hatte. Die Zeit hatte den gut aussehenden, dunkelhaarigen Mann in einen, bis heute attraktiven, grauhaarigen älteren Herrn mit Brille und akkurat gestutztem Oberlippenbart, verwandelt.

Julia warf einen Blick auf ihre kleine Schreibtischuhr. In zwei Stunden durfte sie sich einer durchaus gut bezahlten Arbeit widmen und sich erneut in eine mehrbändige Festschrift zum hundertjährigen Firmenjubiläum einer Schmuckfabrik vertiefen. Allerdings gestaltete sich die Arbeit schwieriger und zudem langwieriger als vermutet. Zusätzlich machte ihr der Lärm mehrerer Maschinen zu schaffen, die mit Rodungsarbeiten auf dem großzügigen Grundstück der Familie beschäftigt waren. Da die Familie nicht ihr Einverständnis gegeben hatte, Papiere aus dem Familienarchiv mit nach Hause zu nehmen, musste Julia, während sie an dem Text arbeitete, ein ohrenbetäubendes Konzert von Kettensägen, Baggern und Planierraupen als Hintergrundgeräusche hinnehmen und sobald die Maschinen schwiegen, die wesentlich angenehmere Musik aus dem nebenanliegenden Musikzimmer akzeptieren, in dem ein Flügel stand, der gerne und oft von den Bewohnern der Villa genutzt wurde.

Hinter ihrem Rücken hörte Julia ihren Lebensgefährten Stefan. Er legte seine Hände auf ihre Schultern und drückte einen Kuss auf ihren Nacken.

»Das Frühstück wartet auf dich.«

Julia seufzte. »Wie oft wird Lena mich noch nachts im Traum besuchen, Stefan? So lange, bis man ihren Mörder gefasst hat?«

So lange, dachte Stefan, bis du Lenas alten Bademantel nicht mehr trägst, ihre Lederjacke in die Altkleidersammlung gegeben hast und das Armband anlegst, dessen Zwilling man an Lenas Leiche vergeblich suchte, weil ihr Mörder es ihr abgenommen hat.

* * *

Mit dem eckigen, von Mutterboden umgebenen Gegenstand, den Siegfried Bramer in der Baggerschaufel vor sich entdeckte, hatte er nicht gerechnet. Er ließ die Schaufel des Baggers nach unten fahren und schaltete den Motor aus, ehe er nach seinem Kumpel Markus Geerts rief und das Fahrerhaus verließ.

Sie arbeiteten seit Tagen auf dem Grundstück einer der wohlhabendsten Familien der Stadt. Vielleicht hatten sie einen Schatz ausgegraben, amüsierte sich Siegfried insgeheim. Er dachte an die Kriegsjahre und an Silber, das man eventuell im Park verbuddelt hatte, oder an andere wertvollen Dinge, die jemand versteckt und nie vermisst hatte. Schmuck? Juwelen?

Wenn man genügend Kapital besaß, war Wertvolles möglicherweise nicht besonders wichtig und man vergaß es auszugraben. Ihr Chef hatte ihnen vor Beginn der Rodungsarbeiten erzählt, dass sich die Familie Stoltenbach seit Jahrzehnten einen weltweiten Ruf in der Produktion kostbarer Schmuckstücke erarbeitet hatte und sehr wohlhabend und einflussreich war.

Kostbarkeiten würden zu der Grauhaarigen passen, die Siegfried des Öfteren hinter einer bodenhohen Glasscheibe der imposanten Villa gesehen hatte und von der er sich wiederholt beobachtet fühlte. Ab und zu ließ sie sich in einem Rollstuhl von einer jüngeren Frau auf die Veranda schieben. Stets in einen dunklen Pelz mit hochgeschlagenem Kragen gehüllt, eine Wolldecke auf den Knien, wirkte sie wie eine Dame aus einem Hollywoodfilm des letzten Jahrhunderts. Frau Alice Stoltenbach! Königin der Villa! Auch jetzt hatte sie ihren Platz hinter der Scheibe eingenommen und belauerte ihn und seinen Kollegen bewegungslos.

Seit Tagen saß er auf seinem Bagger, einen Kopfhörer auf den Ohren, um die Geräusche der unterschiedlichsten Baumaschinen auszusperren, und hatte das Haus oft im Blickfeld.

Die Weißhaarige war die Seniorchefin hatte man ihm erzählt und der Mann, der stets einen dunklen breitkrempigen Hut trug und sich jetzt neben sie stellte, ihr ältester Sohn Ulrich.

Siegfried, der sich nach wie vor von den Bewohnern der Villa beobachtet fühlte, hatte festgestellt, dass sich zu der Frau im Rollstuhl ihr zweiter Sohn, ein bekannter Bundestagsabgeordneter gesellt hatte. Er kannte ihn von den unterschiedlichsten Wahlplakaten. Dort wurde er als Bernhard Stoltenbach vorgestellt, ein Mann, der stets um das Wohlergehen des Landes und seiner Einwohner besorgt war.

Siegfried beschloss, nicht ohne Trotz, die neugierigen Blicke der Villenbewohner länger zu dulden und den Bagger als Sichtschutz einzusetzen.

»Es reicht«, stellte er laut fest und wandte sich an Markus. »Wir sind hier nicht im Zoo.« Mit zwei großen Schritten erreichte er den Bagger, zog sich auf den Sitz, ließ den Schaufellader seitlich dicht vor die Kiste fahren und versperrte damit den Blick auf ihren Fund. »Das war‘s dann mit dem Glotzen. Nix anderes zu tun, als anderen bei der Arbeit zuzusehen.«

Markus Geerts nickte zustimmend. Er hatte den Beruf des Tischlers erlernt und arbeitete erst wenige Monate für das Grafschafter Baunternehmen, das die Rodungsarbeiten übernommen hatte. Er zog seinen Zollstock aus der Tasche seiner Arbeitshose, maß die Größe der Kiste ab und stellte laut fest: »54 mal 21 mal 30 cm. Ich denke sie ist aus Mahagoni. Sehr hochwertig. Robuster Deckel. Da passt einiges rein. Silber ist wohl nicht drin, auch keine Goldmünzen. Dafür ist das Ding zu leicht«, stellte er grinsend fest.

»Mach den Deckel ab, Markus.«

Markus fuhr mit seinem Schraubenzieher unter die untere Kante des Deckels, registrierte, dass er nicht vernagelt war und wunderte sich ein wenig. »Bitte – jetzt bist du dran.«

Siegfried hob den Deckel an, legte ihn beiseite, sah hinein, fühlte, wie ihm schwindelig wurde, setzte sich auf den aufgewühlten Erdboden und räusperte sich einige Male, ehe seine Stimme ihm gehorchte und er seinen Kollegen krächzend anwies: »Ruf die Polizei! Ich glaube, es liegen die Überreste von einem Menschenkind drin.«

Dann erhob er sich schwerfällig, stolperte steifbeinig zu einem nahe liegenden Gebüsch und erbrach. Als er den Kopf wieder hob, sah er hinter der Fensterscheibe die alte weißhaarige Frau und ihre Söhne, die ihn beobachteten.

* * *